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Paris-Dakar 2001 Jutta Kleinschmidt gewann die härteste Rallye der Welt – und schrieb Geschichte

Jutta Kleinschmidt bei der Rallye Paris-Dakar im Dezember 2001
Jutta Kleinschmidt gewann 2001 als erste Frau die Wüstenrallye Paris-Dakar (Archivbild)
© Imago Images
Jutta Kleinschmidt trat 2001 die Wüstenrallye Paris-Dakar an. Obwohl die damals 38-Jährige sich nicht viel Chancen ausrechnete, gewann sie das Rennen – als erste und einzige Frau überhaupt. 

358 Fahrzeuge brechen an jenem frühen Neujahrsmorgen 2001 im verregneten Paris auf. Auf die Teilnehmer der härtesten Rallye der Welt warten insgesamt 10.739 Kilometer, 21 Tage und 20 Etappen mit Spezial-Wertungen über insgesamt 6180 Kilometer. Die Strecke der 23. Rallye Paris-Dakarführt über Spanien, Marokko, Mauretanien und Mali bis nach Dakar im Senegal. Erstmals greifen in diesem Jahr die neuen Service-Regeln: Denn auf den einzelnen Etappen ist der Service, etwa per Hubschrauber aus der Luft, verboten. Die Teams müssen im Notfall entweder selbst Hand anlegen oder auf die Hilfe der mobilen Service-Crews hoffen. Das ist auch der Grund, warum Jutta Kleinschmidt erstmals mit dem Münchner Andreas Schulz als Co-Pilot die Rally bestreitet. Der Kfz-Meister ist ein erfahrener Mechaniker. "Im Zweifelsfall profitieren wir vom technischen Können von Andreas Schulz", so Kleinschmidt.

Trotzdem macht sie sich nicht viel Hoffnung auf den Sieg. Sie hoffe auf ein "schönes Ergebnis in unserer Klasse", so Kleinschmidt, die bereits während ihres Physik-Studiums im Alter von 24 Jahren die Rallye als Blinder Passagier mitfährt – ohne Road-Book, dafür mit Michelin-Karte. "Das hat mich so fasziniert, dass ich diese Rallye auch in Wertung fahren wollte". Erstmals startet die gebürtige Kölnerin im Jahr 1988 bei der berüchtigten Wüstenrallye, jobbt dafür extra neben ihrer Arbeit als Ingenieurin bei BMW bei einem Partyservice, um die Teilnahme zu finanzieren. Damals geht sie noch mit einem Motorrad an den Start. Doch beim Tanken kippt ihr der Veranstalter versehentlich Diesel in das Fahrzeug und das Rennen ist gelaufen. 1993 bleibt sie mit ihrer Yamaha in einer Düne stecken. Ein nachfolgender Laster übersieht die im Sand liegende Maschine und überrollt sie. Im selben Jahr steigt Kleinschmidt erstmals mit ihrem damaligen Lebensgefährtin Jean-Louis Schlesser ins Auto, ein "Schlesserbuggy", gebaut von Schlessers eigenem Team, 15 Angestellte. 

Das Paar lebt zusammen in Monaco.  Schlesser wird auch "Le Patron" genannt, er pflegt über der Welt größtes Abenteuer zu sagen: "Das ist meine Dakar". Schlesser, aufgewachsen in Marokko, bulliger Typ, raucht gern Zigarre und hat schon als Formel-1-Testfahrer Ayrton Senna von der Bahn geschossen. Ab 1995 fährt Kleinschmidt dann im eigenen "Schlesserbuggy". Sie wird immer schneller – offenbar zu schnell für ihren Lebensgefährten. Als sie 1998 zu seinem überlegenen Konkurrenten Mitsubishi wechselt, beendet der als exzentrisch geltende Franzose Liebes- wie Arbeitsbeziehung. Auch bei Mitsubishi wird es nicht leicht für Kleinschmidt, die nicht direkt fürs japanische Werk fährt. Denn: Werkspiloten bekommen das bessere Material und Piloten mit Siegeschancen auch. Beides gilt nicht für Kleinschmidt. Trotzdem schafft sie es 1999 als erste Frau auf das Treppchen, wird Dritte in Dakar, im Jahr darauf Fünfte. 

Zwischenfall erschüttert die Rallye Paris-Dakar

Mit diesem Platz beendet das Team Kleinschmidt/Schulz auch in ihrem Mitsubishi Pajero Evolution den ersten Tag der Rallye. Schlesser, der die Rallye 1999 und 2000 gewann, wird in seinem Spezial-Buggy zweiter. Der damals 52-Jährige übernimmt am zweiten Tag auch gleich die Führung, während Kleinschmidt auf Platz zehn zurückfällt. Auf den schmierigen Pisten entscheiden sich die beiden Deutschen für eine vorsichtige Taktik. "Mein Beifahrer und ich waren uns einig, dass wir hier nichts riskieren. Lieber ein paar Sekunden verlieren, als die Rallye hier schon beenden", so Kleinschmidt. Die folgenden drei Tage pendelt das Team zwischen Platz sechs und Platz acht. Den siebten Tag der Rallye beenden sie auf Platz fünf. Vorjahressieger Jean-Louis Schlesser lässt sich nach einer Panne gleich von mehreren Leuten wieder anschieben. Ein Regelverstoß vor laufender Kamera, der mit einer Strafzeit von einer Stunde belegt. Die Folge: Er rutscht vom ersten auf den achten Platz ab.

Am achten Tag dann geschieht etwas Schreckliches: Eine Mine explodiert im Grenzgebiet zwischen Marokko und Mauretanien und reißt dem teilnehmenden Portugiesen Jose Eduardo Ribeiro den linken Fuß ab. Auch zwei weitere Insassen werden verletzt und müssen per Hubschrauber in das Krankenhaus von Las Palmas geflogen werden. Kleinschmidt kann an jenem Tag ihren fünften Platz verteidigen.

Jean-Louis Schlesser und Jutta Kleinschmidt im Jahr 1999
Jean-Louis Schlesser und Jutta Kleinschmidt im Januar 1999. Damals gewann Schlesser die Wüstenrallye, Kleinschmidt schaffte es als erste Frau aufs Podium, wurde Dritte.
© epa\afp Gabriel Bouys / Picture Alliance

Am 9. Januar schaffen es Kleinschmidt und Schulz in der neunten Etappe auf Rang vier. Auf der 513 Kilometer langen Orientierungsprüfung rund um das Wüstenbiwak von El Ghallaouiya in Mauretanien verweist das Team Schlesser um 25 Sekunden auf den zweiten Platz in der Tageswertung. Kleinschmidt: "Heute hat wirklich alles gepasst. Andreas Schulz war ein Meister der Navigation und brachte all seine Dakar-Erfahrung ein." Die zehnte Etappe beendet das Duo als Zweitplatzierte. Doch die Freude währt nicht lange. 

Schlesser beklagt sich bei der Rennleitung und moniert, Kleinschmidt hätte auf der 435 Kilometer langen Etappe einen GPS-Navigationspunkt um mehr als fünf Kilometer verfehlt und sich dadurch einen mehr als 20 Kilometer großen Vorteil verschafft. Die Offiziellen belegen sie daraufhin mit einer 30-minütigen Zeitstrafe. Das Team fällt dadurch auf Platz vier zurück. Auch Schlesser selbst verfehlt – genau wie acht weitere Teams – den Punkt, erhält jedoch nur eine zehnminütige Zeitstrafe und landet am Ende auf Platz zwei.

Jutta Kleinschmidt freut sich über Patzer von Schlesser

Doch auch er erhält am nächsten Tag einen Dämpfer, als ihm auf der elften 508 Kilometer langen Etappe in der mauretanischen Wüste die Vorderradaufhängung an seinem Spezial-Buggy bricht. An einem Kontrollpunkt hängt er sich zudem an den bis dahin führenden Japaner Masuoka, der sich allerdings wegen eines Navigationsfehlers um 50 bis 60 Kilometer verfährt. Als er plötzlich einen U-Turn macht, dämmert auch Schlesser, dass sie sich verfahren haben. Die elfte Etappe beendet er mit einem Rückstand von 39:20 Minuten auf Platz vier, während Kleinschmidt seinen vorherigen zweiten Platz einnimmt. Kleinschmidt amüsiert sich hinterher: "Also das freut uns jetzt schon, weil er hat uns schon Probleme gemacht mit der Zeitstrafe (…) das freut mich, dass er sich heute ein bissel verfahren hat und wir ihm wieder Zeit abgenommen haben."

Die zwölfte Etappe beendet das Team auf Platz drei, während es auf der schwierigsten und 535 Kilometer langen 13. Etappe wieder mehr als 40 Minuten verliert. Mit einem auf 49:14 Minuten angewachsenen Rückstand zu ihren weiterhin führenden Markenkollegen Masuoka und Maimon fällt das Duo auf den vierten Platz zurück. Diesen kann es auch bei der 14. Etappe verteidigen.

Kleinschmidt lässt Schlesser über große Teile der Strecke von Bamako bis Bakel hinter sich
Friss meinen Staub: Auf der Strecke von Bamako (Mauretanien) ins senegalesische Bakel lässt Kleinschmidt ihren ehemaligen Lebensgefährten über große Teile der Strecke hinter sich
© epa afp Patrick Hertzog/ / Picture Alliance

Am nächsten Tag wächst der Rückstand zu Masuoka auf 1:04:35 Stunden an. Und nach der 16. Etappe liegt Kleinschmidt nur noch 3:51 Minuten hinter den drittplatzierten Markenkollegen Carlos Sousa und Jean-Michel Polato, die ebenfalls im Mitsubishi Evolution unterwegs sind. "Vielleicht wird es doch etwas mit dem dritten Platz, aber es wird schwer, denn Carlos Sousa legt ein hohes Tempo vor".

Doch Sousa wird schon am nächsten Tag hart ausgebremst: Auf der 370 Kilometer langen Prüfung verliert der Portugiese mehr als zwei Stunden wegen Getriebeproblemen. Kleinschmidt lässt es daher auf der teils engen Strecke ruhig angehen. Sehr zum Leidwesen von Schlesser, der sich über rund 200 Kilometer der Strecke von Bamako (Mauretanien) ins senegalesische Bakel durch ihre Staubwolke quält. "Ich hing eine gefühlte Ewigkeit an ihrer Stoßstange. Sie haben es ja gesehen", erklärte er hinterher genervt den Reportern. Er hofft, dass die Rennleitung sie dafür abstraft, ihn nicht vorbeigelassen zu haben. Doch Kleinschmidt, die am Ende der Etappe auf Platz drei landet, wiegelt ab. Sie beteuert, sie habe ihren Kontrahenten nicht gesehen. "Wenn er hintendran gewesen wäre und ich ihn gesehen hätte, hätte ich ihn sicher vorbeigelassen. Aber er war nicht da und insofern kann ich mich ja nicht in Luft auflösen (…). Wenn er wirklich aufschließt, dass man ihn sieht, okay. Aber das war nie der Fall, also insofern muss er halt mit dem Staub leben", erklärt sie und fügt nicht ohne Schadenfreude hinzu: "Ich kann ja nichts dafür, dass es hier so staubig ist." 

Kleinschmidt verteidigt auch auf der drittletzten Etappe ihren dritten Platz. Ihr Rückstand auf die weiterhin führenden Masuoka und Maimon beträgt jetzt 39:42 Minuten. 7:28 Minuten dahinter liegt Schlesser mit seinem Co-Piloten Henri Magne. Kleinschmidt gibt sich geschlagen: "Ich denke, für uns ist die Dakar gelaufen. Wir haben, falls nichts mehr passiert, einen sicheren dritten Platz, den wir ins Ziel auch retten wollen. Bei dem Tempo, was die beiden an der Spitze vorlegen, sehe ich keine Chance, uns noch weiter verbessern zu können. Ich bin auch so sehr zufrieden."

Kleinschmidt und Schulz müssen den festgefahrenen Mitsubishi wieder freischaufeln
Endstation Kamelgras-Hügel: Auf der schwierigsten und 535 Kilometer langen 13. Etappe durch die Wüste Mauretaniens verlieren Kleinschmidt und Schulz wertvolle Zeit, weil sie sich festfahren 
© Patrick_Hertzog / Picture Alliance

Am vorletzten Tag schafft sie den zweiten Platz und liegt am Ende der 654 Kilometer langen Etappe 41:58 Minuten hinter Schlesser, der sich nun bis an die Spitze gefahren hat. Doch der ehrgeizige Franzose startet unerlaubt vor Masuoka und stößt zusammen mit seinem spanischen Teamkollegen José-Maria Servia den Japaner von der Piste. Wütend versucht der nun, abseits der Piste zu überholen, zerstört dabei seine hintere Radaufhängung. Als der Beifahrer von Masuoka rasend vor Wut auf die Piste springt, um den heranrauschenden Servia um Hilfe zu bitten, fährt der einfach weiter – und den Franzosen fast um. Nur mit einem Sprung zur Seite verhindert er, dass er von Servia überfahren wird. Mit einem Rückstand von 44:53 Minuten kommen sie nun als Dritte ins Ziel.

Jutta Kleinschmidt gewinnt als erste Frau die Rallye Paris-Dakar

Schlesser spielt das Unschuldslamm: "Wir haben uns einfach in der Zeit geirrt und waren zwei oder drei Minuten zu früh in der Startzone. Ganz einfach." Doch die Wahrheit ist, dass er hoffte, für seine unsportliche Aktion höchstens mit ein paar Strafminuten belegt zu werden, wie sein Teamkollege Magne später zugibt: "Wir haben uns entschieden, auf den frühen Start zu setzen und eine Strafe zu riskieren, und ich denke, das hat unseren japanischen Freund ein wenig unter Druck gesetzt." Doch sie haben die Rechnung ohne die Sportkommission gemacht: Die verhängt am frühen Sonntagmorgen eine Zeitstrafe von einer Stunde gegen Schlesser und Servia. Damit übernimmt Kleinschmidt vor der letzten Etappe am 21. Januar die Führung mit einem Vorsprung von 18:02 Minuten.

Am letzten Tag stehen nur noch 25 Kilometer als sportliche Entscheidung an. Kleinschmidt gewinnt mit dem knappsten Dakar-Abstand von 2:39 Minuten auf die zweitplatzierten Masuoka und Maimon. Schlesser und Magne landen mit einem Rückstand von 23:20 Minuten auf dem dritten Platz. Kleinschmidt kann ihr Glück kaum fassen: "Dies ist natürlich ein ganz toller Sieg. Für mich ging ein Traum in Erfüllung. Oft war ich ja schon dicht dran, endlich hat es geklappt. Aber mir wäre lieber gewesen, der Sieg wäre mehr auf dem sportlichen Sektor entschieden worden."

Jutta Kleinschmidt und Andreas Schulz feiern ihren Sieg in Paris-Dakar 2001
Jutta Kleinschmidt und Andreas Schulz lassen nach ihrem Sieg in Dakar die Champagner-Korken knallen
© Seyllou / Picture Alliance

Schlesser tobt: "Kleinschmidt hat den Sieg nicht verdient. Es steht ihr überhaupt nicht zu, auf dem Podium zu stehen." Er legt Einspruch gegen die Entscheidung ein. Es vergehen fast zwei Monate, bis das internationale Berufungsgericht des Internationalen Automobilverbandes (FIA) Anfang März 2001 die Entscheidung fällt: Kleinschmidt behält den Titel. Sie ist damit die erste Frau, die die legendäre Wüstenrallye in Afrika gewinnt. Für Schlesser eine herbe Niederlage, die er nicht akzeptieren will. Er kündigt weitere rechtliche Schritte an: "Ich werde mit meinem Anwalt sprechen und wir werden sehen, was wir noch machen können", sagt er. Und weiter: "Ich bin überrascht, habe aber im Moment nicht mehr zu sagen." Seitdem hat er es nie wieder ins Ziel der Dakar geschafft.

Jutta Kleinschmidt hingegen wird zu einer Symbolfigur." Die Deutsche hat das Talent von Pionieren. Sie setzte sich in einer Macho-Welt durch, in der Frauen bisher nur eine Randerscheinung waren", kommentiert die spanische Zeitung "Marca", ihren Sieg. Und das Konkurrenzblatt "El Mundo" findet: "Jutta Kleinschmidt räumte mit der Legende auf, wonach die Rallye Paris-Dakar eine Sache für harte Männer ist." Für Frankreichs Sportblatt "L'Equipe" symbolisierte die Siegesfahrt sogar "den rasanten Aufstieg der Frauen in Disziplinen, die bisher den Männern vorbehalten waren." Für die Boulevard-Zeitung "Le Parisien" wird die blonde Pilotin "in die Geschichte der Rallye eingehen." 

Auch heute noch ist die Geschichte von Jutta Kleinschmidt filmreif. Kein Wunder also, dass die Produktionsfirma von Steven Spielberg ihre Filmrechte gekauft hat, wie sie vor zwei Jahren im Interview mit dem stern verriet. "Bei den Dreharbeiten werde ich als Beraterin dabei sein. Darauf freue ich mich schon sehr."

Sehen Sie oben in der Fotostrecke: Überraschende Vorstellung auf der Los Angeles Auto Show: Porsche präsentierte ein Sondermodell des beliebtesten Autos aus Zuffenhausen – ein neuer 911er ist da! Völlig unerwartet allerdings als Offroader.

Quellen: jutta-kleinschmidt.de, Stern-Archiv, DPA-Archiv, Facebook Dakar Rally, Youtube Paris Dakar Rally

 

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