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Deutschland In diesen Städten hat die Armut zugenommen

Viele Menschen in Deutschland beziehen Hartz IV oder Sozialhilfe, vor allem in den Großstädten. Im Osten hat sich die Lage verbessert - ein westliches Bundesland ist hingegen besonders betroffen.
Armut in Berlin (Symbolbild)

Armut in Berlin (Symbolbild)

Foto: Andres Benedicto / DPA

Armut wird in Deutschland als Problem wahrgenommen - vor allem in den Großstädten. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Studie  der Bertelsmann Stiftung. Demnach hält mehr als die Hälfte der Befragten in Großstädten, nämlich 51 Prozent, Armut am eigenen Wohnort für ein "großes" oder "sehr großes Problem". In Deutschland insgesamt sagen das nur 27 Prozent der Befragten, also etwa jeder Vierte.

Auch die amtlichen Daten haben die Forscher untersucht. Als arm gilt für sie, wer Grundsicherung bezieht - also Hartz IV oder Sozialhilfe sowie Grundsicherung im Alter. Das Ergebnis der Auswertung: In Großstädten erhalten tatsächlich mehr Menschen diese Art von Sozialleistungen als im Rest des Landes. 2016 waren es in Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern 14 Prozent der Bevölkerung, deutschlandweit lag der Anteil bei 10,1 Prozent.

In den einzelnen Städten hat sich die Situation von 2007 bis 2016 jedoch sehr unterschiedlich entwickelt: Besonders in den Großstädten Nordrhein-Westfalens beziehen inzwischen mehr Menschen Grundsicherung, etwa in allen 13 Großstädten des Ruhrgebiets. Das sei auf den noch nicht vollständig bewältigten Strukturwandel zurückzuführen, schreiben die Forscher.

Bei den Schlusslichtern der Studie - Gelsenkirchen, Herne und Mülheim an der Ruhr - ist der Anteil der Grundsicherungsempfänger an der Bevölkerung um rund vier Prozentpunkte gestiegen. In Gelsenkirchen bezog 2016 mehr als jede oder jeder Vierte, nämlich 26 Prozent der Menschen, Hartz IV oder Sozialhilfe.

Im Osten hat sich die Lage laut Studie hingegen verbessert. So bezogen in Chemnitz und Leipzig 2016 fünf Prozent der Bevölkerung weniger Grundsicherung als noch 2007, in Erfurt waren es sogar sechs Prozent weniger. Mit einem Anteil von 14 beziehungsweise 15 Prozent Grundsicherungsempfänger liegen diese Städte nun deutschlandweit im Mittelfeld.

Deutschlandweit hat sich die Zahl der Hartz-IV- und Sozialhilfeempfänger in den zehn Jahren bis 2016 jedoch kaum verändert: Etwa zehn Prozent der Bevölkerung beziehen diese Leistungen. Da die Studie nur Daten bis einschließlich 2016 berücksichtigt, wirkt sich die Zuwanderung von Asylsuchenden zwar bereits auf die Ergebnisse aus - allerdings wird sich dieser Effekt erst in den Zahlen für die Folgejahre vollständig zeigen.

In der Umfrage fanden zwei Drittel der Befragten, dass die Politik vor Ort mehr gegen Armut tun sollte. "Der subjektive Blick zeigt, dass die Bürger dennoch deutlichen Handlungsbedarf sehen. Von der Politik erwarten sie größere Anstrengungen beim Kampf gegen Armut in einem so reichen Land wie Deutschland", sagte Henrik Riedel von der Bertelsmann Stiftung.

Die Definition nach dem Motto "Arm ist, wer Sozialhilfe bekommt" ist nicht unproblematisch. So beinhaltet sie Fehlanreize für die Politik: Sollte sich eine Regierung beispielsweise dazu entschließen, den Hartz-IV-Regelsatz großzügiger zu berechnen und damit deutlich zu steigern, hätte sie zwar unbestritten den Alltag bedürftiger Menschen verbessert - weil aber bei einem höheren Regelsatz zwingend auch mehr Menschen Anspruch auf Hartz IV haben als zuvor, wäre die Armut statistisch dennoch gestiegen.

Den Bertelsmann-Experten ist das Problem bewusst. In der Studie schreiben sie selbst, dass die Armutsforschung inzwischen Definitionen skeptisch sieht, die nur ein einziges Kriterium vorsehen - ob es der Bezug von Sozialleistungen ist oder die Höhe des Einkommens. Stattdessen setze sich eine "mehrdimensionale Sichtweise" durch - dahinter steht die Idee, viele Kriterien aus verschiedenen Lebensbereichen wie Gesundheit, Wohnen, Bildung, Geld oder Arbeit zu berücksichtigen. (Eine ausführliche Beschreibung des Konzepts finden Sie hier.)

Mit Material der dpa